Die Seele hungert, der Körper frisst – Übergewicht hat psychische Ursachen

 

Übergewicht wird heute vorwiegend auf genetische Faktoren und auf erlernte Fehlernährung sowie auf mangelnde Bewegung zurückgeführt. Psychische Ursachen werden kaum bzw. erst nach langem Leiden und nach Phasen der Unzufriedenheit als mögliche Ursachen ins Spiel gebracht. Allerdings sind auch die angelernten Ernährungsgewohnheiten psychisch bedingt – die Lern-, Verhaltens- und Neuropsychologie belegen dies.

Gelernt ist gelernt

Ärzte scheitern in der Regel mit ihren wohlgemeinten Ratschlägen, wie z. B. mehr Bewegung zu machen, die Ernährung umzustellen, mehr Obst und Gemüse zu essen oder vielleicht die Portionen zu verkleinern. Der Verstand der Patienten weiß wohl, was die Ärzte und Ernährungsberater meinen, aber dennoch gibt es eine Schranke, welche einschneidende Veränderungen nicht zulässt. Die Gründe dafür liegen in einer unbewussten Prägung, die aus dem sozialen Prozess stammt. Eltern meinen es gut und stellen volle Teller auf den Tisch, lassen fette und kalorienreiche Schokoriegel als Zwischendurchmahlzeiten zu, besuchen mit ihren Kindern  – weil es doch so cool ist – Fastfood-Restaurants und greifen selbst auf üppiges Essen zurück und vergessen nur allzu oft auf die so notwendige Bewegung. Kinder werden also zum Essen erzogen – nicht nur von den Eltern sondern auch vom engeren oder weiteren Umfeld und sie können sich den Marketingkampagnen der Anbieter auch kaum entziehen. All das führt zu neuronalen Prägungen, was nichts anderes heißt, als dass sich Gewohnheiten über Jahre hinweg im Gehirn bzw. im Unbewussten abspeichern und von einem einmaligen ärztlichen Rat nicht ausgelöscht werden können, meint die Klinische und Gesundheitspsychologin Lieselotte Fieber. „Übergewichtige brauchen neue Prägungen bzw. neue Autobahnen im Gehirn und das funktioniert nur über psychologische Wege.“ Fieber verweist dabei auf den Mentalpsychologen Karl Isak, der schon bei lernschwachen Kindern oder Schmerzpatienten mentale Programme erfolgreich entwickelt hat. „Seine Mentalpsychologischen Interventionen führen zwangsweise zu einer Veränderung zum Positiven.“

Wenn die Seele Nahrung braucht

Ein weiterer psychologischer Grund für Fettleibigkeit sind seelische Probleme. So können Zurückweisungen oder Kränkungen zu Mangelerscheinungen führen und das Selbstbewusstsein untergraben. Die Folge ist eine tiefe Frustration, die ein Ausgleichsbedürfnis verursacht. Die Psyche will dem Negativen etwas Positives entgegenstellen und Essen ist in unserer Gesellschaft durchaus positiv besetzt. Also wird kräftig zugegriffen. Der Begriff „Frustessen“ ist ohnehin bekannt und zeigt durchaus deutlich, um was es geht.

Neben Zurückweisungen und Kränkungen können auch Verlusterlebnisse, wie die Trennung vom Elternhaus, Scheidung der Eltern oder der Tod eines Elternteils zu einer psychisch bedingten Adipositas (Fettleibigkeit) führen.

Mit übermäßigem Essen werden Unlustempfindungen, Ängste, Depressionen, Kränkungen abgewehrt und verdrängt. Wie das Erlernen von  falschen Ernährungsgewohnheiten (zum Beispiel im Elternhaus) führen auch psychische Mechanismen zu einer Prägung. Körper und Geist lernen schnell. Die Zellen wollen immer mehr Fett abspeichern und das Gehirn verlangt sehnsüchtig nach der Ersatzbefriedigung. Deshalb ist Essen durchaus auch als Suchtverhalten zu bezeichnen und muss dementsprechend behandelt werden.

Depression als Begleiter

In sehr vielen Fällen geht Übergewicht mit Depressionen einher. Nun stellt sich dabei die Frage nach Henne oder Ei – also was war früher da. Entstand die Depression durch das Übergewicht, weil zum Beispiel die Umwelt negativ auf die Fettpölster reagiert hat  oder waren Liebesverlust, Zurückweisungen oder Kränkungen der Anlass dafür, die entstandene Frustration mit Essen zu bekämpfen. Die Frage kann oft nur mit Hilfe eines Therapeuten beantwortet werden. Deshalb macht es auch Sinn, Ärzte wie auch Ernährungsberater, Psychologen bzw. Psychotherapeuten hinzuzuziehen.

Abnehmmittel als Lösung?

Diäten und die Einnahme von verschiedenen Abnehmmitteln können zwar kurzfristig das Gewicht reduzieren, weil jedoch die eigentliche Ursache unberücksichtigt bleibt, ist meist das alte Übergewicht gleich wieder da. Auch die Ernährungsberater, die durchaus genau wissen, was ihre Patienten brauchen, stehen meist auf verlorenem Posten, weil die Psyche nicht miteinbezogen wird. Fieber rät deshalb unbedingt zu einer psychologischen bzw. psychotherapeutischen Behandlung, wenn man dauerhaft Gewicht verlieren möchte.

Aggressionen als weitere Ursachen

Unbewusste Aggressionen gegen sich selbst oder gegenüber anderen gelten als weitere psychische Ursachen für Adipositas. Dann spricht man von einer unbewussten Selbstschädigung des eigenen Körpers. Bei Mädchen gibt es auch noch die Variante, dass Übergewicht eine – ebenfalls unbewusste– Abwehr der eigenen Geschlechterrolle darstellt.

Veränderung erfolgt immer im Gehirn

Die mentalpsychologischen Ansätze von Karl Isak zeigen Lösungswege. Es geht darum, eine neue neuronale Bahnung herzustellen und gegebene Muster, die sich auf Essen oder bestimmte Speisen und Getränke beziehen, zu überschreiben, zu verändern, neu zu besetzen oder Alternativen anzubieten. „Es geht einerseits darum, die Ursache aufzuspüren und andererseits, um neue Programme zu etablieren. Liegt die Ursache in einer sozialisatorischen Gewöhnung (also Erziehung oder Vorbildwirkung der Eltern), dann reichen oft schon Mentalpsychologische Interventionen aus, die neue neuronale Muster im Gehirn herstellen. Sind psychische Probleme die Ursache für das Übergewicht, dann liegt es auf der Hand, dass diese erst einmal zu lösen sind. Leider wissen aber die wenigsten Übergewichtigen über die Zusammenhänge zwischen Ihrer Fettleibigkeit und unbewussten Konflikten“, erklärt Isak.

Erschienen in der Gesundheitszeitschrift „MeinDoktor“
Foto: Fotolia_36323514-1024-berc.jpg

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